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Pflegepräferenzen

Foto: Cade Martin / CDC (Unsplash)

Menschen mit Pflege- und/oder Unterstützungsbedarf haben in Deutschland grundsätzlich die gleichen Rechte wie alle anderen Bürger*innen. Dies betrifft die Wahl des Lebensortes, der Pflege und Behandlung sowie die Gestaltung des Tagesablaufs. Dies gilt auch im Fall der Inanspruchnahme von Leistungen nach SGB XI. Pflegebedarfe, -bedürfnisse und -präferenzen sind stark individuell geprägt und unterliegen einem generativen und gesellschaftlichen Wandel. Inwieweit sich Versorgungswünsche bei Pflegebedürftigkeit realisieren lassen, wird jedoch vor allem durch individuelle Ressourcen (beispielsweise finanzielle Möglichkeiten, Unterstützungsmöglichkeiten durch An- und Zugehörige) und strukturelle Gegebenheiten determiniert.

In der deutschen Versorgungslandschaft für Pflegebedürftige sind einerseits Modernisierungstendenzen erkennbar. Zentrale Intention dabei ist der möglichst lange Verbleib der Betroffenen in der eigenen Häuslichkeit bzw. die Etablierung neuer Pflegeangebote, die einen möglichst geringen Institutionalisierungsgrad aufweisen und sich vorrangig an einer alltäglichen Lebensführung orientieren. Dies wird mit den hohen sozialen und individuellen Kosten begründet, aber auch mit den negativen Auswirkungen institutionalisierter Lebensformen, die dem Bild eines selbstbestimmten Daseins auch im hohen pflegebedürftigen Alter entgegenstehen.

Andererseits fällt die Verbreitung neuer Versorgungsformen insgesamt vergleichsweise gering aus und es zeigen sich nach wie vor große regionale Unterschiede. Infolgedessen ist das Versorgungsangebot weiterhin stark von der Dichotomie zwischen traditioneller ambulanter sowie stationärer Langzeitpflege geprägt und bietet wenig (andere) Wahlmöglichkeiten. Dabei soll ein Umzug ins Heim gemäß der sozialpolitischen Prämisse „ambulant vor stationär“ möglichst nur dann stattfinden, wenn keine ambulanten Versorgungsalternativen bestehen bzw. diese ausgeschöpft sind. In diesem Kontext ist erstens zu bedenken, dass ambulante Dienste häufig ein vergleichsweise homogenes Leistungsspektrum anbieten.

Dadurch wird die ambulante pflegerische Versorgung bei spezifischen Pflegebedarfen (dementielle Veränderungen, palliative Versorgung usw.) nicht selten erschwert und kann oftmals nur durch das große Engagement pflegender Angehöriger aufrechterhalten werden. Zweitens können bereits in einigen Regionen die Dienste aufgrund des Pflegefachkräftemangels keine neuen Klient*innen aufnehmen. Drittens gilt dies auch immer häufiger für Einrichtungen der stationären Langzeitpflege, die bereits seit langem Wartelisten führen und nun vorhandene Plätze nicht anbieten können, weil Pflegekräfte fehlen. Hinzu kommt, dass bestimmte Leistungsangebote auch deshalb nicht realisiert werden, weil sie sich aus Sicht von Pflegeunternehmen wirtschaftlich nicht hinreichend rentieren, obwohl eine entsprechende Nachfrage besteht (z. B. Kurzzeitpflege).

Gleichwohl bietet die Auseinandersetzung mit Pflegepräferenzen der zukünftigen Generation potenziell Pflegebedürftiger zahlreiche Impulse zur konzeptionellen Weiterentwicklung und Zukunftssicherung der pflegerischen Versorgung.

Datenbasis: Repräsentative Befragung 65- bis 75-Jähriger in Oberschwaben (Eigene Darstellung)

Erwartungsgemäß präferieren die befragten 65- bis 75-Jährigen eine Pflegeversorgung in der eigenen Häuslichkeit, wobei fast die Hälfte sich gut die Inanspruchnahme eines ambulanten Dienstes vorstellen kann. An zweiter Stelle des Rankings steht die häusliche Versorgung durch Angehörige in Kombination mit professioneller ambulanter Pflege, gefolgt von der Betreuung durch eine privat angestellte Pflegekraft. Eine ausschließliche Pflege im Familienkreis wird hingegen weitaus weniger favorisiert, weil man unter anderem den Kindern nicht zur Last fallen will oder weil diese weit entfernt leben. Gut ein Viertel der Befragten würde auch dann in den eigenen vier Wänden bleiben wollen, wenn hiermit Einschränkungen in der Lebensqualität einherginge. Gleichzeitig beschreibt jedoch lediglich ein knappes Drittel die aktuelle Wohnsituation als barrierefrei und zwei von fünf Befragten sind derzeit auf den PKW angewiesen, um den Alltag am jetzigen Wohnort ohne Hilfe anderer bewältigen zu können.

Mit Blick auf institutionalisierte Wohnformen zeigt sich die größte Präferenz für das betreute Wohnen sowie neuere pflegerische Versorgungsarrangements (z. B. Mehrgenerationenwohnen oder Wohngemeinschaften mit entsprechenden Pflegeangeboten). Ein Leben im Pflegeheim ist für drei Viertel der Befragten hingegen überhaupt nicht vorstellbar und wird in den Interviews als letztmögliche Alternative beschrieben für den Fall, dass alle anderen Optionen nicht tragfähig sind. Dies ist insofern bemerkenswert, weil ein Umzug in ein Altenheim nicht in jedem Fall die schlechteste Variante sein muss bzw. ein unbedingtes Festhalten am Verbleib in der eigenen Wohnung mit nicht zu unterschätzenden Risiken einhergehen kann (wie etwa pflegerische Unterversorgung, soziale Isolation, Vereinsamung usw.).

Zentrale Projektergebnisse

  • Häusliche Pflege in Kombination mit ambulanter Unterstützung ist die am häufigsten präferierte Versorgungsform der befragten 65- bis 75-Jährigen (vgl. Abb.).
  • Innovative Versorgungsformen wie Wohn-Pflege-Gemeinschaften oder die Pflege im Mehrgenerationenwohnen stoßen auf ein relativ hohes Interesse bei der pflegenahen Generation (vgl. Abb.).
  • Die langzeitstationäre Pflege hat ein deutliches Imageproblem (vgl. Abb.). Meist wird diese Versorgungsform nur präferiert, sofern häusliche und teilstationäre Angebote den Pflegebedarf nicht mehr decken können.
  • Zentrale Kriterien für die Auswahl eines Pflegeheims sind neben einem hohen Maß an Sicherheit (z. B. schnelle Hilfe im Notfall) eine qualitativ hochwertige Pflege und Verpflegung, hohe Hygienestandards, eine wohnliche Atmosphäre sowie eine abwechslungsreiche Tagesgestaltung inklusive sozialer Kontakte. Ferner spielen  bei dem ersten Besuch in der Einrichtung auch die Gerüche eine große Rolle.
  • Mit Blick auf das Speisenangebot wird häufig die Sorge vor ungesunder Convenience-Verpflegung geäußert. Die pflegenahe Generation der 65- bis 75-Jährigen wünscht sich qualitativ hochwertiges Essen und wird sich auch entlang der Ernährungsformen (vegetarisch/vegan/Diäten) weiter ausdifferenzieren.
  • Der Einsatz assistiver Technologien in der eigenen Häuslichkeit wird weit überwiegend positiv beurteilt, wenn diese einen längeren Verbleib in den eigenen vier Wänden ermöglichen.

Handlungs-
empfehlungen

  • Entwickeln und etablieren Sie in der stationären Langzeitpflege ein breites Freizeitangebot, dass den vielseitigen Interessen der pflegenahen Generation entspricht. Hierzu zählen auch die Bereitstellung moderner Informations- und Kommunikationstechnologien (WLAN, Internet) sowie die Öffnung der Einrichtung in das sozialräumliche Umfeld hinein.
  • Richten Sie Ihr zukünftiges Verpflegungsangebot an den Ansprüche der pflegenahen Generation aus. Das bedeutet, dass Sie möglichst vielfältige Wahlmöglichkeiten, auch unter Berücksichtigung neuer Ernährungsformen (z. B. vegetarisch/vegan), schaffen.
  • Achten Sie in Ihrem Haus auf die dort vorhandenen Gerüche und führen Sie ein Geruchsmanagement ein. Hierbei könnten Befragungen der Besucher*innen der Einrichtung hilfreich sein.
  • Ermöglichen Sie im ambulanten Setting, dass Pflegefachpersonen zukünftig verstärkt mit weiteren Akteuren im Sinne der Pflegebedürftigen kooperieren können.
  • Nutzen Sie die Chancen der Digitalisierung und entsprechender Fördermittel, um neue Dienstleistungsangebote zu etablieren, um Ihren Patientinnen und Patienten mittels assistiver Technologien einen längeren, selbstbestimmten Verbleib in der eigenen Häuslichkeit zu ermöglichen und auch entfernt wohnende Angehörige („Distance Caregivers“) in die Pflege mit einbeziehen zu können.

Projektbezogene Publikation

Weiterführende
Informationen

Praxisbeispiel

Das Projekt „SeLeP – Selbstbestimmtes Leben im Pflegeheim. Die Würde des pflegebedürftigen Menschen in der letzten Lebensphase“ des Zentrums für Interdisziplinäre Gesundheitsforschung der Universität Augsburg und weiteren Instituten beschäftigte sich mit der Frage, wie die langzeitstationäre Pflege gestaltet werden muss, um Bewohner*innen ein möglichst „gutes“ Leben und letztlich auch Sterben in den Einrichtungen zu ermöglichen. Ein besonderes Augenmerk wird dabei auf die Selbstbestimmung der Bewohnerinnen und Bewohner gelegt, aber auch, wie ein respekt- und würdevoller Umgang im Pflegeheim gefördert werden kann. Im Projektbericht, den Sie hier herunterladen können, finden sich u. a. Hinweise und Ansätze, wie eine „Kultur der Sorge“ im Pflegeheimalltag implementiert werden kann. Weitere Praxisprojekte zum Themengebiet finden Sie in unserer Projektdatenbank.

Linksammlung

Zukunft ambulanter Pflegedienste

Wohn-Pflege-Gemeinschaften